Der Brexit – verheerende Folgen für Selbstständige?
Am 23. Juni 2016 haben 51,9% der Briten in einem Referendum entschieden die Europäische Union zu verlassen. Der „British Exit“, der Austritt Großbritanniens aus dem Staatenbund der Europäischen Union, prägt seither die politische Debatte. Innenpolitisch war Großbritannien lange Zeit nicht dazu in der Lage, die Weichen für ein geregeltes Ausscheiden zu stellen. Noch laufen die Verhandlungen über ein Austrittsabkommen und einen Austrittstermin. Wie das aussehen wird und inwieweit sich die britischen und europäischen Politiker einigen können, ist derzeit noch unklar. Fest steht jedoch, wenn der Brexit kommt, wird er in jedem Fall Auswirkungen auf verschiedene Unternehmens- und Lebensbereiche haben. Was bedeutet der Brexit für Gründer, Unternehmer und Selbstständige, die geschäftliche Verbindungen mit Großbritannien haben und was müssen sie nach dem Brexit beachten?
Welche Folgen hat der Brexit für Selbstständige?
Jegliche geschäftlichen Kontakte, die zwischen Unternehmern und Selbstständigen auf Seiten Großbritanniens und der EU bestehen, werden künftig von neuen rechtlichen Voraussetzungen begleitet. Die große Last einiger Freiberufler wird sein, sich zunächst selbst über diese individuellen Folgen des Brexits in Kenntnis zu setzen.
Bislang ist das endgültige Szenario des Austritts nicht bekannt. Wenn du über Kunden oder gar Geschäftspartner in Großbritannien verfügst, so müssen diese Geschäftskontakte womöglich neu bewertet werden. Klar ist, dass du dich auf Veränderungen einstellen musst und möglicherweise schon Vorbereitungen treffen kannst, um dein Unternehmen zu schützen.
Hürden für eine Gründung
In der EU gelten die Werte Freizügigkeit und Gewerbefreiheit, das bedeutet den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Gründer haben die Möglichkeit, ihr Unternehmen in jedem beliebigen Mitgliedsstaat zu beginnen und anzumelden. Als prosperierende Volkswirtschaft war Großbritannien, allen voran die Hauptstadt London, dabei besonders attraktiv. Sollte Großbritannien ohne Abkommen zum Drittland werden, sind künftige Gründungen auf der Insel deutlich schwerer zu vollziehen.
Limited als Rechtsform
Besonders zu Beginn dieses Jahrzehnts entschieden sich viele deutsche Gründer für die Rechtsform der britischen Limited. Diese vereinfachte viele Formalitäten und verband eine Haftungsbeschränkung mit dem Vorzug, kein Gründungskapital vorweisen zu müssen. Die britischen Standards wie Offenlegungspflichten und Jahresabschlüsse mussten folglich beachtet werden und charakterisieren bis heute zahlreiche kleine Unternehmen.
Wenn du deutscher Unternehmer einer Limited bist, kannst du deine Niederlassung nach dem Brexit nicht mehr ins deutsche Handelsregister eintragen und die Haftung des Geschäftsführers muss nach den strengen deutschen Vorschriften neu beurteilt werden. Außerdem bist du nach dem Austritt Inhaber einer Firma außerhalb der EU, was auf lange Sicht komplizierte rechtliche Anforderungen mit sich bringt. Somit verliert die Rechtsform der Limited für deutsche Unternehmer ihre Attraktivität. Für bestehende Limiteds ist die Rechtssprechung derzeit noch unklar und muss in den kommenden Verhandlungen festgelegt werden.
Eingeschränkte Freizügigkeit
Mit dem Austritt Großbritanniens besteht die Gefahr, dass die Briten kein Privileg mehr auf die Freizügigkeit haben. Sie müssten sich an keine EU-Vorgaben mehr halten. Das bedeutet vor allem für Selbstständige im Vereinigten Königreich einen erheblichen Nachteil. Sie müssen sich nach dem Brexit um notwengide Dokumente kümmern, um ihre Arbeit ausüben zu können, während EU-Bürger dank der Freizügigkeit uneingeschränkt und sofort einsetzbar sind.
Handel mit Großbritannien
Warenaustausch
Die Wiedereinführung von Zöllen ist nach dem Brexit nicht zu verhindern. Die Einkäufe britischer Kunden bei deutschen Unternehmen sind folglich mit Einfuhrsteuern verbunden, welche den Austausch von Waren und sogar Dienstleistungen unattraktiver machen. Als Selbstständiger sind eventuell auch deine Geschäftsbeziehungen in Zukunft davon betroffen. Zölle und Einfuhrsteuern stehen dadurch dem Warenaustausch im Wege. Zudem werden Ein- und Ausfuhrdokumente benötigt, die den Warenaustausch zusätzlich erschweren. Neue Formalitäten müssen beachtet werden, um einen rechtskräftigen Austausch zu ermöglichen.
Umsatzsteuersystem
Nach §§ 13 Abs. 2, 21 Abs. 2 UStG werden Waren und Dienstleistungen aus Großbritannien der Einfuhrumsatzsteuer unterliegen. Somit ist das Vereinigte Königreich nicht mehr an die gemeinsamen europätischen Umsatzsteuersystemrichtlinien sowie die Einhaltung der Höchst- und Mindestumsatzsteuersätze gebunden. Sobald der Brexit vollzogen ist, müssen Dokumentationspflichten und korrekte steuerliche Abbildung der Warenbewegung verstärkt beachtet werden.
Britische Werbepartner und Affiliate-Programme
Eine Kooperation mit britischen Werbepartnern wird ebenfalls mit rechtlichen Änderungen verbunden sein. Wenn du etwa auf deiner Webseite Werbung für eine britische Firma präsentierst, reicht eine einfache Netto-Rechnung mit Verweis auf das Reverse-Charge-Verfahren nicht mehr aus. Stattdessen ist der Hinweis notwendig, dass es sich um steuerfreie Umsätze handelt, wie er heute etwa bei Werbepartnern aus Übersee gängig ist.
Nach dem gleichen Muster werden auch Affiliate-Programme neuen gesetzlichen Regelungen unterliegen. Die Rechnungsstellung ins EU-Ausland unterliegt anderen gesetzlichen Vorgaben, die leider nicht einheitlich geregelt sind. Inwiefern sich die rechtlichen Vorgaben ändern, muss ebenfalls noch in den Verhandlungen geklärt werden. Für Selbstständige werden Rechnungen ins EU-Ausland relevant, sobald der Brexit endgültig in Kraft getreten ist.
SEPA-Zahlungen nach Großbritannien
Ein einheitlicher europäischer Zahlungsverkehr etablierte sich in den letzten Jahren in Form des SEPA-Verfahrens. Grenzüberschreitende Überweisungen ließen sich für die Teilnehmer der Transaktion vereinfachen. Das Verfahren konnte durch eine besondere Zusammenarbeit auch in dem vom Pfund dominierten Großbritannien angewandt werden.
Ob SEPA-Zahlungen durch diese individuelle Regelung Bestand haben werden, ist nach den bisherigen Verhandlungen noch nicht absehbar. Experten halten den Austritt aus dem gemeinsamen Zahlungssystem jedoch für unwahrscheinlich, da dieser zusätzliche Hürden für den Handel Großbritanniens mit dem EU-Mitgliedsstaaten bedeuten würde.
Lieferzeiten und Exportkosten
Zollkontrollen, zusätzliche Genehmigungen und die Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer werden die Hauptgründe für verlängerte Lieferzeiten im Warenaustausch sein. Außerdem muss mit einem erhöhten bürokratischen Aufwand gerechnet werden, was die Wartezeiten an der Grenze zu Großbritannien, insbesondere im Hafen, deutlich verlängern wird. Neue finanzielle und zeitliche Belastungen werden den grenzüberschreitenden Handel aus diesem Grund auch für Freiberufler und Selbstständige weniger attraktiv erscheinen lassen.
Auswirkungen auf den Online-Handel
Datenaustausch
Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU wird es als Drittland angesehen. Dadurch ändern sich die Grundsätze der Datenschutzgrundverordnung und die Regelungen von §§ 44 ff. DSGVO treten in Kraft. Für die Datenübermittlung und Datenverarbeitung bedeutet dies zunächst, dass geeignete Garantien zum Schutz personenbezogener Daten vorhanden sein müssen. Die endgütige Verfahrensweise bleibt jedoch abzuwarten. Für dich als Unternehmer ist wichtig, dass du dich informierst, welche deiner Prozesse vom Datenaustausch betroffen sind, damit du Anpassungen vornehmen kannst.
In jedem Fall werden höhere Hürden mit der Übertragung von Daten in einen Drittstaat verbunden sein. Besonders Online-Händler müssen diesen Umstand in ihre Geschäftsprozesse einbeziehen.
Geoblocking
Durch die in der EU gültige Geoblocking-Verordnung soll verhindert werden, dass Kunden aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Wohnsitzes diskriminiert werden. Diese Regelung ist auch für Online-Händler in Drittstaaten von Bedeutung, welche Waren in der EU absetzen. Für deutsche Verbraucher ändert sich aus diesem Grund mit dem Brexit zunächst nichts. Für Unternehmer wird es bedeutend sein, die Sachlage individuell neu zu bewerten.
Gesetzeslage für Online-Händler
Innerhalb der EU sind die relevanten Rechtsgebiete für Online-Händler sowie die Richtlinien der Verbraucherrechte größtenteils harmonisiert. Auch das Wettbewerbsrecht ist vollharmonisiert. Das bedeutet, dass der EuGH die Rechtshoheit besitzt. Nach dem Brexit müssen sich die britischen Gerichte nicht mehr an den Urteilen des EuGH orientieren, wodurch es zu Differenzen der Auslegung von harmonisierten Gesetzen kommen kann. Dies hat ebenso Auswirkungen auf die künftige Rechtslage. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Gesetzeslage ändern wird.
Erwerb von gewerblichen Schutzrechten
Wenn der Brexit vollzogen ist, kannst du Unionsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht mehr für Großbritannien anmelden. Für bereits bestehende Unionsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmuster gilt derzeit noch, dass diese dann als nationale Marke bzw. Geschmacksmuster für den Geltungsbereich Großbritannien weiterhin ihre Gültigkeit behalten. Um nach dem Brexit Schutzrechte für den Geltungsbereich im Vereinigten Königreich zu erlangen, musst du gewerbliche Schutzrechte national oder über IR Marken erwerben.
Einreise nach Großbritannien für Geschäftsmeetings
Bereits während der Mitgliedszeit in der EU war Großbritannien nicht Teil des Schengenraums. Aus diesem Grund war die Vorlage von Personalausweis oder Reisepass erforderlich, um die Einreise genehmigen zu lassen. Bislang ist unklar, ob künftig ein Visum notwendig sein wird, um aus geschäftlichen Gründen einzureisen.
Die EU-Kommission verständigte sich bereits auf eine einheitliche Regelung. Für britische Staatsangehörige ist demnach ein Aufenthalt von bis zu 90 Tagen ohne Visum möglich. Es ist durchaus denkbar, dass Großbritannien sich seinerseits dieser Regelung anschließen wird.
Positive Auswirkungen auf Deutschland: Kann Berlin zur EU-Startup-Stadt werden?
Aus deutscher Sicht ist sogleich ein finanzielles Potenzial mit dem Brexit verbunden. Bislang ist London die europäische Metropole der Startups. Aufgrund erschwerter rechtlicher Bedingungen könnten sich viele Unternehmen künftig dazu entscheiden, ihren Geschäftssitz in das neu formierte EU-Inland zu verschieben. Als pulsierende Metropole könnte Berlin diese Entwicklung nutzen, um zur EU-Startup-Stadt aufzusteigen.
Auf einen ähnlichen Aufschwung hofft die Bankenmetropole Frankfurt, in der sich viele Vertreter der Branche ansiedeln, die ihre Geschäfte zuvor aus London leiteten. Der steuerliche Mehrwert könnte wiederum dem ganzen Land zugute kommen.
Keine Panik
Auch nach der endgültigen Entscheidung über die Form des britischen Austritts aus der EU werden in vielen Bereichen Schonfristen vorhanden sein, um sich der neuen rechtlichen Grundlage anzupassen. Zeit genug für Selbstständige und Unternehmer, um die notwendigen Handlungsschritte genau abzuschätzen.
Ein genauer Blick auf die politische Entwicklung ist dann wichtig, wenn du Geschäftskontakte nach Großbritannien hast. Andererseits solltest du als Limited-Gründer die Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.